Language switcher

Enrst Wolff

Wahlen ändern nichts – Ernst Wolff auf acTVism Munich

16. September 2016

Wahlen ändern nichts – von  Ernst Wolff


Ob es um das Amt des Präsidenten der USA, die Posten im Berliner Senat oder die Zusammensetzung der Gemeinderäte in der niedersächsischen Provinz geht – Wahlen haben heute alle eines gemeinsam: Sie ändern nichts.

Es handelt sich um reine Scheingefechte, bei denen die beteiligten Akteure sehr genau darauf achten, die wirklich brennenden Fragen zu umgehen und die Wählerschaft von den wahren Verursachern der derzeitigen Probleme abzulenken.

Die Mittel, mit denen die Wahlkandidaten arbeiten, sind nicht neu: Es werden Vorurteile bedient, Feindbilder aufgebaut und Ängste geschürt – eine sichere Methode, um die Wähler zu verunsichern und ihren Blick auf die drängendsten Probleme der Gegenwart zu vernebeln.

Das größte Problem unserer Zeit

Das Hauptproblem unserer Zeit, das eigentlich im Mittelpunkt eines jeden Wahlkampfes stehen müsste, ist die rasante Zunahme der sozialen Ungleichheit. Nach Angaben der Hilfsorganisation Oxfam verfügten 2014 85 Einzelpersonen über ein Vermögen, das dem Besitz der ärmeren Hälfte der Menschheit entspricht. 2015 waren es nur noch 62 Personen.

So erschreckend die Zahlen sind, es handelt sich dabei nur um die Spitze eines Eisberges: In den USA leben inzwischen 60 Millionen Menschen von Essensmarken, Hunderttausende mussten Häuser und Wohnungen aufgeben und leben in Zeltstädten. Die Obdachlosigkeit unter sozial Schwachen nimmt zu, die Lebenserwartung ab. Gleichzeitig haben die Spitzenverdiener in den USA ihr Vermögen kontinuierlich vermehrt.

In Deutschland arbeiten mehr als 25 % der Beschäftigten im Niedriglohnsektor, die Leiharbeit boomt, immer häufiger werden Löhne durch „Werkverträge“ gedrückt. Während die Kinderarmut wächst, nimmt das Einkommen derer, die von ihrem Vermögen leben können, ebenfalls überproportional zu.

Europaweit sieht die Lage noch schlechter aus. Vor allem der jüngeren Generation rauben Arbeitslosigkeit, mangelnde Ausbildungsmöglichkeiten und zunehmend schwierigere soziale Verhältnisse die Zukunftsperspektive, und das nicht nur im Süden, sondern auch im benachbarten Frankreich.

Die Ursache wird verschwiegen

Die beschriebene Entwicklung ist kein Zufall, sondern das Produkt einer weltweit betriebenen Politik. Diese Tatsache aber wird von sämtlichen Wahlkandidaten – ob in den USA oder in der deutschen Provinz – unterschlagen. Offenbar handelt es sich hier um ein Tabu, das niemand anzurühren bereit ist: Es geht nämlich um die Geldpolitik der Zentralbanken.

Als das globale Finanzsystem 2008 zusammenzubrechen drohte, sprangen die Regierungen ein und retteten vermögende Investoren mit dem Geld von Steuerzahlern. Obwohl es sich um die in der gesamten Geschichte der Menschheit größte Vermögensumverteilung von unten nach oben handelte, unterwarf sich die Politik bereitwillig der von der Finanzindustrie ausgegebenen Parole, die Banken seien „too big to fail“.

Die Folge der Bankenrettung waren riesige Löcher in den Staatshaushalten. Um diese zu stopfen, sprangen die Zentralbanken ein. Sie finanzierten bankrotte Staaten durch den Aufkauf von Staatsanleihen, pumpten Billionenbeträge in die Wirtschaft und senkten bis heute weltweit mehr als 660 Mal die Leitzinsen. Parallel dazu erließen sie Austeritätsprogramme, d.h. sie kürzten die Staatsausgaben, erhöhten die Steuern und senkten so den Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung.

Stabilisiert wird nicht das Finanzsystem

Die meisten Menschen glauben noch heute der offiziellen Version, dass diese Maßnahmen der „Stabilisierung“ des von ihnen nicht verstandenen Finanzsystems dienen. Kaum einer durchschaut ihren tatsächlichen Charakter: Dass sie das System nämlich ganz im Gegenteil destabilisieren und in Wirklichkeit keinem anderen Ziel dienen, als die Lasten der Krise von 2008, die von gewissenlosen Spekulanten verursacht wurde, auf die arbeitende Bevölkerung abzuwälzen.

Einige Beispiele: Die Staatsfinanzierung durch den Kauf von Staatsanleihen kam nicht etwa den betroffenen Ländern zugute, sondern diente fast ausschließlich dazu, diesen Ländern die Begleichung ihrer Schulden bei ausländischen Banken zu ermöglichen. Nutznießer waren also nicht die arbeitenden Bürger der unterstützten Staaten, sondern in erster Linie ausländische Großbanken.

Nicht anders verhält es sich mit den Unsummen frisch aus dem Nichts geschöpften Geldes: Allein die EZB hat seit dem März 2015 mehr als eine Billion Euro „in die Wirtschaft gepumpt“. Offiziell heißt es, das sei nötig, um „die Wirtschaft anzukurbeln“. Das aber ist in den vergangenen acht Jahren nachweislich nicht passiert. Tatsächlich hat die EZB das Geld über private Banken an Investoren ausgegeben, die es großenteils zur Spekulation an den Finanzmärkten einsetzen.

Ähnlich sieht es bei der Senkung der Zinsen aus. Auch hier heißt es, die Maßnahme sei nötig, um „Anreize für Investitionen“ zu schaffen. Tatsächlich wird Spekulanten das Geld zu immer günstigeren Zinsen, zum Teil bereits zum Nulltarif, zur Verfügung gestellt – ein Freibrief, um noch größere Risiken an den Finanzmärkten einzugehen und das System noch instabiler zu machen.

Auch bei der Einführung der „Bail-in“-Regelung (die Beteiligung von Aktionären, Anlegern und Sparern an der Rettung von Banken) handelt es sich keinesfalls um die von der Politik behauptete „Entlastung der Steuerzahler“. Die zur Jahreswende vorgenommenen „Bankenrettungen“ in Italien beweisen, dass sich Großinvestoren rechtzeitig absetzen und vor allem Kleinanleger und die Mittelschicht für die Fehlbeträge aufkommen müssen.

Sämtliche seit 2008 durchgeführten Maßnahmen nützen also nicht der arbeitenden Bevölkerung, sondern ausschließlich der Finanzindustrie und den hinter ihr stehenden Investoren und Spekulanten. Es gibt aber weder in den USA, noch in der deutschen Provinz, auch nur einen einzigen Politiker, der seine Wähler im Wahlkampf über diese Zusammenhänge aufgeklärt hätte.

Die Manipulation kennt keine Grenzen mehr

Das ist allerdings noch nicht alles. Die angeführten Maßnahmen haben die soziale Ungleichheit nämlich nicht nur verschärft, sondern dabei eine Eigendynamik entwickelt, die sich nicht mehr stoppen lässt und mit unerbittlicher Konsequenz in noch schwereres Wasser führt:

So hat das Gelddrucken riesige Blasen an den Aktien-, Anleihe- und Immobilienmärkten geschaffen, die auf jeden Fall platzen und riesige Vermögenswerte vernichten werden. Die Niedrigzinspolitik hat die Investoren wie Heroinabhängige nach billigem Geld süchtig gemacht und wird mit Sicherheit nicht mehr rückgängig gemacht werden können.

Im Gegenteil: Die vor uns liegende Periode wird wegen weiterer Zinssenkungen im Zeichen von Minuszinsen stehen. Da diese aber zur Hortung von Bargeld führen, wird nach der bereits für den Herbst 2017 geplanten Abschaffung des 500er-Euroscheins die generelle Abschaffung des Bargeldes vorangetrieben werden müssen.

Aber auch das ist noch nicht alles. Um den Zusammenbruch dieses völlig aus den Fugen geratenen Systems zu verhindern, werden immer neue Maßnahmen nötig: Die Stützung von Unternehmen durch den Aufkauf von Firmenanleihen durch die EZB ist da nur ein Schritt, dem weitere folgen werden. Die Schweizer Nationalbank ist bereits Großaktionär bei Apple und Google und es gibt keinen Grund, warum die EZB ihrem Beispiel nicht folgen sollte.

Egal, von welcher Seite aus man es betrachtet: Das Finanzsystem steuert auf noch ungehemmtere Manipulation, noch größere soziale Ungleichheit und schlussendlich auf einen historischen Zusammenbruch zu, der zu schwersten gesellschaftlichen Verwerfungen bis hin zu Bürgerkriegen führen wird. Das mit Abstand wichtigste Thema in einem Wahlkampf, der diesen Namen verdient, müsste die Warnung vor dieser Entwicklung sein.

Dennoch hören wir von keinem Politiker auch nur ein Wort darüber. Der Grund dafür ist keinesfalls Unwissenheit, denn die Fakten liegen ja für jeden, der sich informieren möchte, offen auf dem Tisch. Der Grund liegt darin, dass die wirklichen Entscheidungen in unserer Gesellschaft schon lange nicht mehr von der Politik, sondern von der Finanzwirtschaft und deren höchster Interessenvertretung, den Zentralbanken, getroffen werden.

Politiker sind in diesem Spiel nichts anderes als PR-Agenten und Öffentlichkeits-Verwalter der Finanzindustrie. Ihre Aufgabe besteht darin, die wirklichen Probleme zu verschleiern und den Menschen durch Ablenkungsmanöver auf Nebenschauplätze Sand in die Augen zu streuen, damit diejenigen, die vom gegenwärtigen System profitieren, das auch in Zukunft ungehindert tun können. Zum Lohn für ihre Tätigkeit erhält die politische Kaste materielle Privilegien wie hohe Diäten, großzügige Rentenansprüche, Sonderleistungen, direkten Zugang zu lukrativen Jobs in der Industrie, dem Finanz- oder Stiftungswesen. Außerdem erhalten ihre Vertreter – und das dürfte nicht ganz unwichtig sein – die Möglichkeit, ihre Geltungssucht im Lichte der Öffentlichkeit auszuleben und sich – von der Finanzindustrie wohlwollend geduldet – in den ebenfalls von der Finanzindustrie finanzierten Mainstream-Medien als die Machthaber unserer Zeit aufzuspielen.

Im Grunde bestätigt das Schauspiel, das wir unter dem Titel „Wahlkampf“ alle vier Jahre aufs Neue erleben, die Worte von Kurt Tucholsky, der schon vor einem dreiviertel Jahrhundert gesagt hat: „Wenn Wahlen etwas ändern würden, dann wären sie verboten“.


Klicken Sie hier, um unsere exklusiven Videos mit Ernst Wolff anzusehen.

Um mehr von Ernst Wolff zu lesen, klicken Sie hier.


Spenden Sie, um unabhängigen und gemeinnützigen Journalismus zu unterstützen.  Rettung

Klicken Sie hier oder auf das Bild.

Banner Spende Webseite_D


Über Ernst Wolff:

Ernst WolffErnst Wolff, 1950 geboren, wuchs in Südostasien auf, ging in Deutschland zur Schule und studierte in den USA. Ernst Wolff arbeitete in diversen Berufen, u.a. als Journalist, Dolmetscher und Drehbuchautor. Die Wechselbeziehung von Wirtschaft und Politik, mit der er sich seit vier Jahrzehnten beschäftigt, ist für ihn gegenwärtig von höchster Bedeutung: „Die Finanzkrise von 2008 und die Eurokrise waren nur die ersten Vorboten eines aufziehenden globalen Finanz-Tsunamis, in dem der IWF und seine Verbündeten auch in Europa zu Maßnahmen greifen werden, die wir uns heute noch nicht vorstellen können.“


Anmerkung: Dieser Bericht spiegelt nicht unbedingt die redaktionelle Haltung von acTVism Munich wider.


Investigative & Whistleblower-Projekte, die Ihre Unterstützung benötigen!

Greenwald Chomsky
Edward Snowden, Noam Chomsky und Glenn Greenwald

acTVism Munich plant weitere Teile des Events „A Conversation on Privacy“ mit Edward Snowden, Glenn Greenwald und Noam Chomsky zu übersetzen. acTVism Munich glaubt, dass die Privatsphäre von zentraler Wichtigkeit für die Demokratie ist und eine Herstellung einer breiten und globalen Informationsdichte von größter Bedeutung für die Zukunft der Freiheit ist. Außerdem konnte acTVism Munich ehrenamtliche Helfer in New York mobilisieren, um ein Event mit Yanis Varoufakis und Noam Chomsky aufzunehmen, welches von der „New York Public Library“ (NYPL) organisiert wurde. Dieser Event fand am 26. April 2016 statt, besprochen wurden unter anderem der Stand der Demokratie in Europa sowie die drohenden ökonomischen und sozialen Probleme für Europa.

Saal der Bundespressekonferenz Berlin
Saal der Bundespressekonferenz Berlin

Daneben wird acTVism Munich Ende August Zugang zur Bundespressekonferenz in Berlin bekommen. Dies wird uns die Möglichkeit geben, kritische Fragen direkt an die deutsche Regierung zu stellen und dadurch Bewusstsein für eine ganze Bandbreite an Themen herzustellen, die in den deutschen Massenmedien üblicherweise nicht behandelt werden. Wir werden versuchen, alle Fragen und Antworten ins Deutsche zu übersetzen und zu synchronisieren.

Edward Snowden
NSA-Whistleblower Edward Snowden

Außerdem: Der NSA-Whistleblower Edward Snowden bestätigte seine Teilnahme via Video-Konferenz für das kommende acTVism Munich Event „Freedom and Democracy: Global Issues Connecting the Dots” im Muffatwerk in München. Für diesen Event wollen wir führende Experten zusammenbringen, um die Verbindungen zwischen unterschiedlichen Problemen zu diskutieren, und zu erörtern, wie das System funktioniert. Wir glauben, dass wir nur zu brauchbaren Lösungen kommen können, wenn die Öffentlichkeit über die prinzipiellen und strukturellen Fehler des Systems informiert wird. Weitere Informationen folgen bald! Bedauerlicherweise hat acTVism Munich nur sehr begrenzte Ressourcen und benötigt Ihre Hilfe, um diese Projekte zeitnah zu realisieren. Anfallende Kosten für Anreise, Unterbringung, Verpflegung, Produktion und Übersetzung erschweren die Verwirklichung. Als unabhängige gemeinnützige Medienorganisation mit einer strengen Haltung gegenüber Werbung und Unterstützung durch Regierungen und Konzerne sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen. Unterstützen Sie uns. Klicken Sie hier.


Quelle des Beitragsbild: www.commondreams.org


 


1 Antwort auf „Wahlen ändern nichts – Ernst Wolff auf acTVism Munich“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert