Geht die Offenlegung der Podesta E-Mails einen Schritt zu weit? Ein Gespräch mit Naomi Klein
(Dieses Interview wurde von Glenn Greenwald geführt und ist ursprünglich auf “The Intercept” erschienen [19.10.2016] acTVism Munich hat dieses Interview ins Deutsche übertragen.)
Einige Nachrichtenorganisationen, darunter The Intercept, nutzten umfangreiche Ressourcen für die Berichterstattung über relevante Aspekte des E-Mail-Archivs des Clinton-Wahlkampf-Vorsitzenden John Podesta, welches letzte Woche von Wikileaks veröffentlicht wurde. Zahlreiche Dokumente dieses Archivs haben wesentlich über die Denkprozesse und das bisher geheim gehaltene Verhalten der top Wahlkampfhelfer von Clinton, und oftmals der Kandidatin selbst, aufgeklärt. Während die Bedeutung bestimmter Berichte diskutiert wurde, lässt sich nicht leugnen, dass viele dieser Offenbarungen einen wertvollen Einblick in die Aktivitäten der Kampagnenfunktionäre gegeben haben, die gegenwärtig große politische Macht ausüben und die ab Januar nächsten Jahres wahrscheinlich zu den mächtigsten Funktionären auf dem Planeten gehören.
Trotz ihrer Übereinstimmung mit diesen Aussagen, ist Autorin und Aktivistin Naomi Klein der Meinung, dass ernsthafte Bedrohungen für die Privatsphäre und andere kritische, politische Werte von Hacks dieser Art ausgehen, insbesondere wenn es um die wahllose Veröffentlichung von persönlichen E-Mails geht.
Die Tatsache, dass das Individuum, dessen E-Mails gehackt wurden, bedeutende Macht ausübt, kann einige dieser Bedenken mildern, jedoch, glaubt sie, keineswegs beseitigen. Auch glaubt sie, obwohl ein öffentlicher Dienst mit der Berichterstattung einiger dieser E-Mails geleistet worden sei, seien die Gefahren für die Privatsphäre, die von dem Hacken eines E-Mail-Posteingangs ausgehen, durch Medienorganisationen (einschließlich The Intercept) nicht ausreichend betont worden.
Anfang der Woche diskutierte ich mit Klein ihre Ansichten und Sorgen zu diesen Fragen. Die Diskussion wurde geringfügig, zu einem 30-minütigen Podcast, nachbearbeitet, den sie auf dem obigen Player abspielen können. Ein Transkript ist ebenfalls bereitgestellt. Klein ist unweigerlich sehr nachdenklich und aufschlussreich, und so halte ich das Anhören der Diskussion für durchaus lohnenswert.
Dieses Transkript wurde in Länge und zur Klarheit nachbearbeitet.
GLENN GREENWALD: Hi, ich bin Glenn Greenwald von The Intercept und ich freue mich sehr, dass mein heutiger Gast eine der einflussreichsten und erfolgreichsten Journalisten, Aktivisten und Denker der Welt, und ebenfalls eine gute Freundin ist, Naomi Klein. Hi, Naomi. Vielen Dank, dass du dir heute Zeit nimmst, um mit mir zu sprechen.
NAOMI KLEIN: Hey Glenn, es ist schön bei dir zu sein.
GG: Der hauptsächliche Impuls für dieses Gespräch entstand aus der in den letzten zwei oder drei Wochen entfachten, lebhaften Debatte über die Veröffentlichung von vielen Tausenden von E-Mails aus dem Konto des Wahlkampfvorsitzenden von Clinton, John Podesta.
Niemand weiß sicher, wer sie gehackt hat. Die US-Regierung behauptet, dass die russische Regierung beteiligt war – obwohl sie keine Beweise dafür vorlegten – aber es gibt eine Menge Leute, die glauben, dass Russland zumindest in irgendeiner Weise verwickelt war. Wer auch immer es tat, übergab es an Wikileaks, die, anstatt es zu kuratieren oder zu versuchen, herauszufinden, was im Interesse der Öffentlichkeit wäre und was nicht, einfach alles aufgriff und ins Netz stellte.
Und zumindest aus dem was ich gesehen habe, war die Debatte, die folgte – als Nachrichtenorganisationen dieses Archiv durchsuchten und anfingen über Material zu berichten, das sie für relevant befanden und im Interesse der Öffentlichkeit – eine zweigeteilte Debatte. Auf der einen Seite gibt es die Akteure, die veranlassten, dass alle E-Mails von John Podesta- ohne Differenzierung bezüglich der Auswirkungen oder Inhalte oder ob sie in Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse stehen – im Internet veröffentlicht wurden, was die Hacker in Kombination mit WikiLeaks umfasst.
Und dann hat man diese separate Debatte, sobald das passiert. Sobald diese Materialien zur Verfügung gestellt werden, zum Wohl oder Übel, was ist die Pflicht der Journalisten? Sollten sie es ignorieren mit der Begründung, dass es illegal erlangt wurde oder Anreize für zukünftige, schlechte Taten schaffen könnte? Sollten sie die Tatsache abwägen, dass es ein massives Eindringen in die Privatsphäre gab gegen den journalistischen Wert, der zweifellos aus einigen, spezifischen Materialien gezogen werden kann? Und offensichtlich waren wir bei The Intercept zentral in dieser Debatte involviert, weil wir eine Entscheidung trafen, viel über die Dokumente zu berichten, die über die Person aufklären, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die nächste Präsidentin der Vereinigten Staaten wird.
Das sind die Konturen der Debatte – es gibt sicherlich viele Unstimmigkeiten darin – aber ich schätze ich bin neugierig darüber, ob du der Meinung bist, dass dies die richtige Weise ist über die Debatte nachzudenken, ob es der richtige Weg ist sie zu führen, ob es Dinge gibt, die verzerrt wurden oder nicht genug Aufmerksamkeit bekommen haben. Was sind insgesamt deine Gedanken zu dem Thema?
NK: Ich schätze die Möglichkeit sehr mit dir darüber zu sprechen. Ich glaube, dass wir über viele Dinge angemessen nachdenken, aber es gibt einige Dinge, die etwas mehr Nachdruck bedürfen. Ich würde hinzufügen, dass sie nicht nur alles ohne Kuration entladen haben. Sie entladen es, teilen aber die Menge ein um den Schaden zu maximieren. Sie sagen also nicht nur, „Hey, Informationen wollen frei sein, hier ist alles was wir haben. Journalisten, habt viel Spaß, schaut es euch an.“ Sie suchen ganz klar nach maximaler Medienaufmerksamkeit und man erkennt das, wenn man den Twitter-Feed von WikiLeaks ansieht und wie sie es zeitlich direkt vor den Debatten einplanen. Heute nutzt jeder Leaks als politische Waffe, einschließlich der Clinton-Kampagne, was wir bereits wussten, aber durch diese E-Mails haben wir mehr Beweise dafür. Sie reden ständig davon Informationen zu ihrem eigenen Vorteil zu leaken.
Die andere Sache, die ich sagen würde, ist, dass du als Journalist eine besondere Verantwortung hast – und ebenso andere bei The Intercept – weil ihr diejenigen seid, die uns die Snowden-Akten brachten, und ich bin eine von vielen Personen, die unheimlich dankbar ist für „diese Linie im Sand“ über das Recht auf unsere elektronische Privatsphäre. Du bist weltweit einer von drei oder vier Menschen, die am meisten getan haben, um dieses Prinzip unserer elektronischen Kommunikation zu verteidigen – weil wir unser Leben online leben, können wir das nicht von unserem Recht auf Privatsphäre unterscheiden, Punkt. Diese Leaks sind meiner Meinung nach nicht in der gleichen Kategorie wie die Pentagon-Papiere oder vorherige WikiLeaks Veröffentlichungen, wie die Handelsdokumente, die sie weiterhin leaken, für die ich sehr dankbar bin, weil es Regierungsdokumente sind, auf die wir Anspruch haben, die für die Demokratie von zentraler Bedeutung sind. Es gibt viele Dinge in dieser Kategorie.
Diese Leaks sind meiner Meinung nach nicht in der gleichen Kategorie wie die Pentagon-Papiere oder vorherige WikiLeaks Veröffentlichungen, wie die Handelsdokumente, die sie weiterhin leaken, für die ich sehr dankbar bin.
Aber persönliche E-Mails – und in diesen E-Mails sind alle möglichen persönlichen Dinge enthalten – diese Art wahlloser „Dump“ ist genau das, wovor Snowden versucht hat uns zu schützen. Deshalb wollte ich mit dir darüber sprechen, weil ich denke, dass wir dieses Prinzip kontinuierlich neu bekräftigen müssen.
Als Journalisten müssen wir es – jetzt wo es zugänglich ist – durchgehen und über die Teile sprechen, die politisch bedeutend und berichtenswert sind. Aber gleichzeitig haben wir die Verantwortung zu sagen, dass die Menschen das Recht auf Privatsphäre haben. Ich hörte, du verteidigst den Leak zu einem gewissen Grad mit der Begründung, dass es sich dabei um sehr mächtige Personen handelt. Sicherlich ist Podesta eine sehr mächtige Person, und er wird noch mächtiger sein nachdem Hillary Clinton gewählt worden ist, falls sie gewählt wird, und es sieht stark danach aus. Aber ich mache mir Sorgen über die Subjektivität, die darüber entscheidet, wer als ausreichend mächtig definiert wird um seine Privatsphäre zu verlieren, denn ich bin absolut sicher, dass es viele Menschen auf der Welt gibt, die glauben, dass du und ich ausreichend mächtig sind, um unsere Privatsphäre zu verlieren und ich spreche als Journalistin und Autorin die geleakte und deklassifizierte Dokumente für ihre Arbeit verwendete. Ohne diese hätte ich niemals „The Shock Doctrine“ oder „This Changes Everything“ schreiben können. Aber ich bin auch Teil der Bewegung für Klimagerechtigkeit und das ist eine Bewegung, die unter einer unglaublichen Menge an Überwachung durch Ölindustrie-finanzierte Frontgruppen unterschiedlicher Arten stand. Es gibt Menschen in der Bewegung, die getracked werden als seien sie politische Kandidaten, überall, wohin sie gehen.
Also, wie definieren wir mächtig? Denn sobald wir sagen, das ist in Ordnung, und ich sage nicht, dass du das getan hast – du hast diese Unterscheidung vorgenommen – aber ich denke, wir müssen es lauter sagen. Und insbesondere du, als derjenige, der uns die Snowden Dokumente brachte, musst es lauter sagen.
GG: Hier gibt es in gewissem Sinne eine erstaunliche Ironie, weil ich den Nachrichtenwert der WikiLeaks-Archive in den vergangenen Monaten verteidigt habe, nicht nur das von Podesta, sondern auch das DNC-Archiv. Und ich habe WikiLeaks in der Vergangenheit verteidigt, lange vor dem Snowden-Archiv. Es gibt ein paar wirklich faszinierende Nuancen, die den Weg bereiten für die Arten der Unterscheidung, die, wie du sagst, gezogen werden sollten.
Als ich erstmals im Jahr 2010 anfing WikiLeaks zu verteidigen, war eines meiner primären Argumente, dass WikiLeaks, entgegen der Art und Weise, in der sie von der US-Geheimdienst Community und deren Freunde dargestellt wurden, kein rücksichtsloser, skrupelloser Akteur war, der herumläuft und auf soziopathische Weise Informationen ins Internet stellt ohne Sorge darüber wen sie gefährden könnten. Und in der Tat, wenn man sich anschaut wie die größten WikiLeaks Veröffentlichungen anfänglich gehandhabt wurden – die Irak und Afghanistan Kriegsprotokolle, sowie die Depeschen des Auswärtigen Amts – nicht nur, dass sie eine große Anzahl von Dokumenten mit der Begründung zensierten, dass dies notwendig sei um das Wohlergehen unschuldiger Menschen zu schützen, sie forderten tatsächlich, dass das Auswärtige Amt sich mit ihnen treffen sollte, um ihnen dabei zu helfen, herauszufinden, welche Informationen vorenthalten werden sollten, um keine unschuldigen Menschen zu gefährden.
Sie waren also eifrige und enthusiastische Befürworter dieses Modells – dass man, wenn man Tonnen von Informationen erhält, die in die Öffentlichkeit gehören, eine entsprechende Verantwortung hat, nicht nur die physische Sicherheit der Menschen zu schützen, sondern auch deren Privatsphäre. Ich habe sie unter dem Aspekt ständig verteidigt.
Irgendwo auf dem Weg entschieden WikiLeaks und Julian, und sie haben das ausdrücklich gesagt, dass sie ihre Meinung in dieser Frage geändert haben – sie glauben nicht mehr an das Redigieren oder Vorenthalten von Dokumenten jeglicher Art.
Während unserer Berichterstattung über das Snowden Material haben wir nicht einfach das Archiv genommen und es ins Internet geschüttet, wie es viele Leute gefordert haben. Wir verbrachten Jahre damit es sorgfältig zu filtern und Teile geheim zu halten, die individuelle Privatsphäre gefährden, den Ruf von Leuten ungerechtfertigt schaden könnten oder sie anderweitig in Gefahr bringen könnten. Und WikiLeaks hat uns jahrelang öffentlich und bösartig angegriffen. Sie tun es tatsächlich immer noch aufgrund der Tatsache, dass wir sogenannte „Gatekeeper“ (Torwächter) von Informationen waren. Es war immer meine Ansicht – und sie ist es noch immer – dass es unglaublich heuchlerisch von uns gewesen wäre, zu sagen, diese Dokumente müssten das Licht der Welt sehen, weil die Privatsphäre der Menschen beeinträchtigt würde und dann im selben Atemzug Dokumente freizugeben, welche die Privatsphäre von Menschen zerstört, weil sie zu faul sind oder es als ungerechtfertigt erachten die Dokumente durchzugehen und zu redigieren.
Es gibt also eine Debatte, auch unter Menschen, die an radikale Transparenz glauben, über die angemessene Art und Weise mit derartigen Informationen umzugehen. Ich denke, dass WikiLeaks zu diesem Zeitpunkt mehr oder weniger alleine im Glauben dasteht, diese Art von Daten-Dump sei ethisch – geschweige denn journalistisch – einfach ethisch, als menschliches Wesen, vertretbar. Ich denke diese Debatte war lebendig und gesund, und ich denke du hast damit recht, dass es nun umso mehr so sein muss, da wir nun so viele weitere Beispiele haben, wie den Leak der Klimawissenschaftler, von Sony Führungskräften und anderen Leaks, die unweigerlich kommen werden.
Ich denke, dass WikiLeaks zu diesem Zeitpunkt mehr oder weniger alleine im Glauben dasteht, diese Art von Daten-Dump sei ethisch – geschweige denn journalistisch – einfach ethisch, als menschliches Wesen, vertretbar.
Wir müssen einen Weg finden, um beides gleichzeitig zu sagen: Mächtige Institutionen und mächtige Akteure brauchen die Art von Transparenz, die diese Leaks bieten können, aber gleichzeitig behalten auch Menschen, die in mächtigen Positionen sind und viel Einfluss haben, das Recht auf Privatsphäre, und es sollte keine Veröffentlichungen von persönlichen Angelegenheiten oder Dingen geben, die nicht direkt im öffentlichen Interesse stehen.
Ist es das, was du meinst wenn du sagst es müsste mehr betont werden? Ist das die Differenzierung, die du für entscheidend hältst?
NK: Ich denke, dass wir ein sehr starkes Interesse daran haben, das Recht auf elektronische Privatsphäre kontinuierlich zu bekräftigen, vor allem, wenn wir über Leute sprechen, die nicht offiziell gewählte Vertreter sind.
Es ist nur so subjektiv, welche Kriterien wir verwenden, um mächtig zu definieren, weil dieser Begriff dehnbar ist. Und ich sage nicht, dass E-Mails außerhalb der Grenzen liegen – ich denke an E-Mails über die Legitimation von Folter während der Bush-Administration. Aber das waren besonders relevante E-Mails, und nicht: „Du hast soeben deine gesamte elektronische Privatsphäre verloren. Wir werden alles herausgeben, oder vielmehr, wir werden es in Etappen herausgeben, um den Schaden zu maximieren.“
Wir müssen das verteidigen, denn in der Klimabewegung allemal stehen wir Kräften gegenüber, die immer massiv über mehr Ressourcen verfügen werden als die Bewegung selbst. Wir können unsere E-Mails verschlüsseln, und wir sollten unsere E-Mails verschlüsseln. Aber das Prinzip muss dennoch verteidigt werden, denn wir verlieren, wenn es verschwimmt.
GG: Aber lass mich dir diese Frage stellen. Wir haben damit angefangen zu sagen, dass bei diesem speziellen Leak, wegen der Philosophie von WikiLeaks, der Hacker eintrat und sich alles griff, was Hacker manchmal tun werden, obwohl sie gute Absichten haben – denn man hat keine Zeit nur das relevante Material zu greifen, man hofft dass die Leute, an die man das Material übergibt, sich darum kümmern. Das war Snowdens Theorie: Ich werde so viel mitnehmen wie ich kann, aber darauf achten es nur an Journalisten weiterzugeben, die versprechen das Material zu schützen und die Öffentlichkeit das sehen zu lassen, was sie sehen sollen und nicht das, was sie nicht sollen.
Gehen wir einmal von einem gutgläubigen Hacker aus, der sagt: “Ich werde alle E-Mails von John Podesta nehmen und ich werde sie nur herunterladen. Und statt sie WikiLeaks zu übergeben, werde ich sie dieser Organisation geben und dieser Organisation sagen, „Ich möchte, dass ihr sie durchschaut und diejenigen entfernt, in denen John Podesta über die emotionalen Schwierigkeiten von Mitarbeitern spricht, oder die persönliche Gespräche enthalten, die er mit Familienmitgliedern oder Freunden führt, und wählt diejenigen, die wirklich die Handlungen der Clinton-Kampagne beleuchten, die Auswirkungen auf die politische Ordnung und den Diskurs haben.“ Hättest du Bedenken bezüglich dieser Vorgehensweise?
NK: Nein. Ich denke, dass sie sich den Reden ausgesetzt haben (?), weil sie sich weigerten sie zu veröffentlichen. Sie hätten sie veröffentlichen sollen und was interessant ist, einige der relevantesten Informationen sind nicht im E-Mailverkehr enthalten– sie sind in Dokumenten wie diesen. Oder zum Beispiel, in einem Anhang, das ein Transkript von Hillary Clintons Gespräch mit Gewerkschaftsführern hinter verschlossenen Türen ist, in dem sie sagt, dass Klima-Aktivisten kein Leben haben, weil sie zu ihren Veranstaltungen erscheinen. Das ist keine E-Mail. Für mich fällt das nicht in dieselbe Kategorie. Ich hätte kein Problem damit, wenn es kuratiert wäre.
Es ist auch die Art und Weise, in der es veröffentlich wird, um offensichtlich Schäden zu maximieren und diese Rücksichtlosigkeit in Hinblick auf die Implikationen, wenn es um die Wahl von Trump geht. Du hast darüber geschrieben, wie gefährlich es für Medienorganisationen ist, solch eine hoch politische Haltung zu dieser Wahl einzunehmen, weil sie nicht wollen, dass Trump gewählt wird, also betreiben sie was du als „journalistischen Betrug“ bezeichnest. Ich stimme dir zu.
Aber wir müssen erkennen, wie politisch WikiLeaks und Julian an dieser Stelle sind.
GG: Es ist interessant. Alles was wir tun können ist spekulieren, weil es mit einbezieht, was im Kopfe von jemand anderem vorgeht, in diesem Fall, eine Person, die auch in den besten Zeiten recht kompliziert ist, die seit 5 Jahren in einem einzigen Raum eingesperrt ist, die seit vielen Jahren die Außenwelt buchstäblich nicht gesehen hat und die sie in der nahen Zukunft nicht sehen wird – also ist es schwer zu beurteilen, was sich im Kopf einer solchen Person abspielt.
Dennoch, als jemand, der Julian kennt und das schließt dich und mich in unterschiedlichem Maße ein, bist du von der Idee überzeugt, dass Julians Ziel hier dieses konventionelle parteiliche Ziel ist, dass er den republikanischen Kandidaten gegenüber dem demokratischen schlichtweg bevorzugt und tut was er kann um Trump zu helfen? Oder glaubst du es geht mehr darum, dass Julian eine substantielle, philosophische Feindseligkeit gegenüber dem U.S.-Imperium und der U.S.-Hegemonie, als eine Kraft für das Böse in der Welt, hegt und nach einer Möglichkeit sucht, diese zu untergraben und niederzubrennen.
In dem Maße, indem Hillary Clinton vertritt, dass sie die Zielscheibe seiner Wut ist, zusätzlich zu seiner Ansicht von ihr als Befürworterin seiner Gefangenschaft und dadurch gibt es auch diese persönliche Wut – das Ziel ist nicht wie das von Paul Begala, dass die Demokraten gewinnen und die Republikaner verlieren. Ich denke nicht, dass Julian diese simplen parteilichen Motive hat. Ich denke, es geht vielmehr darum, die Dinge niederbrennen zu sehen, aus einer Kombination von politischer Philosophie und persönlicher Verachtung. Ich bin neugierig, was du darüber denkst.
NK: Ich weiß es nicht. Ich kenne ihn nicht gut. Ich habe ihn kennengelernt und bin nicht sicher, dass ich das beantworten kann. Ich muss ganz ehrlich zu dir sein Glenn, ich bin wirklich nervös, weil es eindeutig ein Element der Rache gibt, was verständlich ist, weil Hillary Clinton massiv für seinen Mangel an Freiheit verantwortlich ist. Ich kann es also verstehen, aber gleichzeitig ist Assange nicht die einzige Person, die seine Freiheit verloren hat, weil sie sich für ihren Glauben einsetzte.
Ich sprach vor Kurzem mit einem Mann namens Rodney Watson, der sieben Jahre in einer Kirche in der Innenstadt der Vancouver East Side verbracht hat, ebenfalls ohne Kontakt zur Außenwelt, ohne Kontakt zu seinem Sohn, weil er sich weigerte im Irak zu kämpfen. Er ging in den Irak, sah Kriegsverbrechen, weigerte sich zurückzukehren, und floh nach Kanada. Er will eine Begnadigung. Er ist wütend. Doch er versucht es nicht niederzubrennen – dies ist ein prinzipientreuer Kriegsverweigerer. Die scheinbare Bereitschaft, es niederzubrennen, verstört mich sehr. Auch verstört mich das Ego diese Wahl aus der persönlichen Perspektive zu betrachten, gerade wenn der Einsatz so unglaublich hoch ist. Jeder von uns hat persönliche Belange darin investiert – natürlich nicht im Ausmaß wie Assange – aber viele Leute sehen auch das große Ganze.
GG: Es ist interessant, dieses Modell des Niederbrennens. Ich erinnere mich an eine der ersten Unterscheidungen, die Edward Snowden zog, als wir uns in Hong Kong trafen – nicht, um immer wieder diese Assange-Snowden-Unterscheidung zu betonen, aber es ist eine, die tatsächlich ganz grundlegend ist, und die, wie ich denke, viele Menschen übersehen haben.
Er brachte ein faszinierendes Argument an, als ich ihn fragte: Du hast diese unglaubliche Fülle an unvorstellbar sensiblen Informationen, die, wenn sie im Internet veröffentlich wären, riesige Zahlen von U.S.-Überwachungsprogrammen umgehend zerstören würden, einschließlich derer, die du stark ablehnst. Warum hast du das nicht einfach gemacht? Warum hast du sie nicht einfach im Internet hochgeladen? Warum brauchtest du die Zusammenarbeit mit uns, Journalisten als Mittelmänner und Mediatoren, um die Information zu bearbeiten und dir die Entscheidungen darüber abzunehmen, was die Öffentlichkeit sehen wird und was nicht?
Und er sagte: Denke darüber nach, wie unglaublich soziopathisch, wie narzisstisch es von mir, Edward Snowden, wäre, zu entscheiden, dass ich das Recht habe, eigenhändig, all diese Programme zu zerstören, einfach weil ich sie nicht mag.
Er sagte, er wolle nichts zerstören, dass es sein Ziel sei, stattdessen die Informationen zu nehmen, die den Menschen auf der ganzen Welt die Fähigkeit geben, zu erfahren, was ihre Regierungen tun, was mit dem Internet geschieht, so dass diese Menschen demokratisch und kollektiv die Wahl darüber treffen können, ob diese Programme fortgesetzt werden sollten. In welcher Form? Brauchen wir Schutzmaßnahmen? Brauchen wir Limitierungen? Brauchen wir Bürgerbewegungen? Das alles. Er fühlte sich sehr unwohl mit der Idee, dass seine Rolle jemals etwas anderes sein könnte als der Vermittler von Informationen, der es anderen ermöglicht, diese Wahl zu treffen.
Ich denke, dass Julian sich selbst und seinen Aktivismus auf eine deutlich, aggressivere und sogar einzelgängerische Art und Weise könnte man sagen, betrachtet; dass er zufrieden ist und glaubt er habe das Vorrecht, Dinge niederzubrennen – und manchmal Institutionen, die wirkliche Taten des Bösen sind – und wenn sie abbrennen, könnte mancher argumentieren, es sei tatsächlich ein Ereignis des Guten in der Welt.
Ich fühle mich nicht wohl mit jemandem, der diese Macht besitzt.
Aber es gibt auch extreme Sorgen über die Übertragung von so viel Macht an eine Person. Es ist irgendwie ironisch, dass der NSA-Skandal und all diese anderen Skandale aus der Vorstellung heraus entstanden sind, dass eine winzige Anzahl an Leuten, im Geheimen, ohne Rechenschaftspflicht, diese Entscheidungen getroffen hat. Und jetzt gibt es andere Menschen, die sich als deren Gegner aufstellen und einen ähnlichen Rahmen für sich selbst schaffen.
NK: Darum sage ich, dass ich nervös bin. Ich fühle mich nicht wohl mit jemandem, der diese Macht besitzt.
Ich fühle mich nicht wohl, wenn es Staaten sind, aber auch wenn es Individuen oder Institutionen sind. Ich mag es nicht, wenn Menschen Entscheidungen treffen, die auf Rache basieren, denn die Botschaft, die sie senden, lautet: „Wenn du mich verärgerst, könnte dir das passieren.“ Das ist eine drohende Botschaft. Jetzt erkenne ich, dass es übertrieben sein könnte, aber ich bin sicher nicht die Einzige, die diesen Gedanken hatte, und ich denke wir müssen begreifen, dass sich Furcht auf diese Weise verbreitet. Es sind nicht nur Staaten, die in der Lage sind, diese Botschaft zu senden. Das Level des Ego ist mir unangenehm, angesichts der Rolle des Ego in diesem Wahlzyklus und der Leute, die denken, diese Wahlen drehten sich um sie persönlich. Wir brauchen keinen anderen, der es so behandelt.
GG: Ich begann zu sagen—
NK: Ich möchte nur noch etwas hinzufügen, es ist diese Sorgfalt, die du beschreibt, mit der Edward Snowden die Information behandelt hat, die der Grund dafür ist, warum er weltweit als Held betrachtet wird, warum diese Enthüllungen so unglaublich wichtig waren, warum man ihn aufgrund von Prinzipien so einfach verteidigen kann. Und deshalb ist es so wichtig für dich, als die Person, die neben Laura [Poitras], so eng mit ihm zusammengearbeitet hat, diese Dinge auszusprechen, die du gerade aussprichst.
GG: Ich will nicht zu voreilig im Hinblick darauf sein, wo wir zumindest meiner Meinung nach stehen sollten. Chelsea Manning gilt auch als Heldin; obwohl die Art und Weise wie ihr Material veröffentlicht wurde, zu Beginn, schrittweise und vorsichtig war, endete sie in einer wahllosen Veröffentlichung. Aber ich denke, dass es Arten von Information gibt, bei denen diese Sorge, die du ausdrückst und die ich teile, weniger zwingend ist.
Wir sprechen über Protokolle von militärischen Kämpfern, die einfach beschreiben, was sie jeden Tag im Feld im Irak und in Afghanistan sehen. Diese zu veröffentlichen, hat keine direkten Implikationen für die Privatsphäre, wie es ein privater E-Mail Posteingang haben würde. Ähnlich ist es mit diplomatischen Kabeln – es könnte Verlegenheit zwischen Ländern hervorrufen, und es könnte andere Gründe geben dies nicht zu tun, aber ich denke unterschiedliche Arten von Archiven stellen unterschiedliche Arten der Sorgen über die Privatsphäre dar. Wenn wir über das Hacken in ein persönliches E-Mail-Konto von Personen sprechen – obwohl sie ziemlich mächtig sind und in drei Monaten wahrscheinlich Stabschef des Weißen Hauses sein werden – gibt es dennoch ernsthafte Privatsphäre-Implikationen für das willkürliche dumping davon, und das Problem ist, dass es weitergehen wird. Es gibt nicht viel, was getan werden kann, weil diese Hacker und WikiLeaks an dieses Modell glauben.
NK: Ich denke, der hauptsächliche Punkt, den wir aus diesen E-Mails gelernt haben, ist, dass die Leute um Hillary Clinton herum, genauso bestechlich und korrupt sind, wie wir dachten, zum größten Teil, mit all den Interessenskonflikten. Ich glaube nicht, dass wir eine große Menge dazu lernen. Deine Kollegin, Lee Fang, tweetete gestern, dass die WikiLeaks E-Mails zeigen, dass Hillary die Meinung von reichen Leuten, Lobbyisten, loyalen Partisanen respektiert und wertschätzt – während Aktivisten Verlierer sind.
Was es wirklich tut, ist das nur zu verstärken, denn alles, was man tun muss, ist sich anzuschauen, wie sie Black Lives Matter Aktivisten bei der Wahlkampftour behandelte – die absolute Verachtung. Die Art, wie sie einem jungen Klimaaktivisten auf die Frage nach ihrem fossilen Brennstoffgeld praktisch entgegenspuckte „Ich hab das so satt“. Wir wussten das.
GG: Wir wussten es —
NK: Wir verstärken es. Wenn der Preis, es zu verstärken oder mehr Menschen zu informieren, diese Idee enthält, dass du sobald du in die Politik gehst, deine Privatsphäre verlierst, dann ist meine Sorge, dass anständige Leute, die das sehen und diese Werte und Interessenskonflikte nicht gutheißen, einfach denken, „Ich gehe auf keinen Fall in die Politik. Ich werde meine Privatsphäre nicht aufgeben.“ Ich kenne eine Menge Leute, die so fühlen.
GG: Wir haben diese wichtige Grenze gezogen, dass wenn du öffentliche Macht ausübst – öffentliche Macht bedeutet, dass du ein öffentlicher Beamter bist, der eine Macht ausübt, die ihm von der Öffentlichkeit übergeben wurde, und die er über sie ausübt – gibst du definitiv einen großen Teil von dem auf, was gewöhnliche Bürger als Privatsphäre, direkt unter dem Gesetz, genießen. Wir haben bereits einen Rahmen geschaffen, wo das der Fall ist.
NK: Aber dann hast du das Wissen. Ich denke, worüber sich Leute Sorgen machen würden, wäre rückwirkend ihre Privatsphäre zu verlieren.
GG: Eines der Dinge, die sehr wahrscheinlich passieren könnten – und wenn man zurückschaut und die frühen WikiLeaks-Philosophien und Theorien liest, stimmt es damit überein – je mehr die Menschen anfangen zu befürchten, dass ihre E-Mails am Ende gehackt und öffentlich werden, desto weniger werden sie E-Mails nutzen. Sie werden einfach aufhören E-Mails für Dinge zu verwenden, die über oberflächliche Transaktionen hinausgehen und Institutionen werden noch geschlossener. Sie werden weniger in der Lage sein intern zu kommunizieren. Julian dachte, das sei eine großartige Sache, denn so wollte er sie schwächen – indem es so viel Transparenz gab, dass sie blind flogen wie eine autoritäre Institution.
Aber ich stimme dir absolut zu, dass es sehr tiefgründige Bedenken bezüglich der individuellen Privatsphäre gibt, die mit diesen Leaks und sicherlich mit denen, die noch kommen werden, zertrampelt werden. Und wahrscheinlich haben wir uns darüber nicht genug Gedanken gemacht, denn was am Ende geschieht, sind die Leaks; Journalisten, wie ich, legen ein Lippenbekenntnis darüber ab, dass es nicht in Ordnung ist, dass nicht kuratiert wurde, das hätte sein müssen; und dann beginnt jeder darin nach relevanten Berichten zu suchen. Vielleicht ging es darum den Ansatz zu belohnen oder vielleicht wurde einfach nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet, ich bin mir nicht sicher was die Antwort ist, denn solange diese Fähigkeit existiert, denke ich, dass die Menschen das weiterhin tun werden.
NK: Ich bin mir auch nicht ganz sicher, außer bezüglich der Tatsache, dass wir an das Recht der Menschen auf elektronische Privatsphäre glauben. Das Problem ist nicht die Rechtwidrigkeit; wie du betont hast, waren wir auf Leaks angewiesen, die technisch illegal waren, um an unglaublich wichtige Informationen heranzukommen. Aber es gibt eine Unterscheidung zwischen der Tatsache, dass wir unser Leben jetzt in E-Mails leben, und wir nutzen es wie wir per Telefon oder direkt mit einer Person kommunizieren. Und wenn wir das aufgeben, geben wir eine riesen Menge auf.
GG: All die Diskussionen aus dem Jahr 2013 über die Gefahren, dass die Privatsphäre durch den Staat erodiert wird, gelten für diese staatenlosen Akteure die private Kommunikationen von Menschen hacken und wahllos veröffentlichen. Auch das vernichtet die Privatsphäre auf wirklich tiefgreifende Weise. Und es ist schwer, sich um das eine, nicht aber das andere, zu kümmern.
NK: Es ist schwierig etwas Positives darin zu erkennen, wie wir hier rauskommen. Ich bin nicht sicher wo das hingeht.
GG: Ich schätze das einzig Positive, das ich mir vorstellen kann – eines der Hauptziele von Edward Snowden war es nicht nur der Welt das Ausmaß zu zeigen, in dem ihre Privatsphäre beeinträchtigt und deren Kommunikation gefährdet war, sondern den Menschen zu lehren, dass sie sich davor schützen können, genauso wie sich Hausbesitzer zunehmend über die Notwendigkeit von Alarmsystemen bewusst werden oder darüber Zäune zu bauen oder Gemeinden aufzubauen, um sicher zu sein. Organisationen können Schritte einleiten, um zu erschweren, das so etwas passiert.
Eines der Dinge, die bemerkenswert sind, ist, dass sehr mächtige Personen – wie die Clinton-Kampagne, sogar politische Führer in Brasilien, wo es so viele Berichte über Snowden gab und die Art, wie beeinträchtigt sie waren – scheinen das nicht sehr ernst genommen zu haben.
Es ist eine unbefriedigende und eine Art nebensächliche Antwort, aber es ist trotzdem wahr, je mehr man davon sieht, desto mehr würde ich hoffen, dass die Menschen die Notwendigkeit darin sehen, diese Technologien zu nutzen, um zu erschweren, dass Leute in Besitz ihrer Daten gelangen.
NK: Ich stimme zu, es ist völlig schockierend. Rücksichtslos. Dass es einem Gefühl der Straffreiheit entspricht, ist alles was mir einfällt – dass sie so schreiben könnten und es nicht herauskommen würde.
GG: Sie wissen besser als jeder andere, wie einfach es ist zu spionieren, weil sie alle Teil der Operationen sind, die es tun.
NK: Und sie denken nicht, dass die Regeln für sie gelten. Das Problem ist, sie gelten für den Rest von uns.
GG: Genau.
Nun, das war wirklich hilfreich Naomi. Für mich persönlich, bin ich zurückgeglitten zu dieser Dichotomie mit der ich begonnen habe, mit „Oh ja, OK gut, WikiLeaks und die Hacker haben falsch gehandelt. Ich würde es nicht tun, aber nichtsdestotrotz, lasst uns mit der Pflicht, dem Journalismus weitermachen.“ Ich denke du hast recht damit, dass das keine angemessene Antwort ist, oder zumindest keine angemessene Betonung auf diesem ersten Teil der Gleichung, die viel mehr Aufmerksamkeit bedarf.
NK: Danke für die Möglichkeit mit dir zu reden, es hat wirklich Spaß gemacht.
GG: Es macht immer Spaß Naomi, lass uns das jederzeit wieder machen.
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