Trump im Weißen Haus: ein Interview mit Noam Chomsky
(Dieses Interview ist ursprünglich auf Truthout erschienen. acTVism Munich hat dieses Interview ins Deutsche übertragen.)
Am 8. November 2016 gelang Donald Trump der größte Überraschungserfolg der US-Politik, indem er sich erfolgreich den Ärger der weißen Wähler zunutze machte und die niedersten Triebe der Menschen ansprach – auf eine Art, die selbst den Nazi-Propagandisten Joseph Goebbels beeindruckt hätte.
Doch was genau bedeutet Trumps Wahlsieg, und was kann man von diesem Größenwahnsinnigen erwarten, wenn er am 20. Januar 2017 die Zügel der Macht übernimmt? Was ist Trumps politische Ideologie, falls er überhaupt eine hat, und ist „Trumpismus“ eine Bewegung? Wird sich die US-Außenpolitik unter einer Trump-Regierung ändern?
Vor einigen Jahren, warnte der anerkannte Intellektuelle Noam Chomsky davor, dass das politische Klima in den USA reif sei für den Aufstieg einer autoritären Figur. Nun teilt er seine Gedanken zum Nachspiel dieser Wahl, dem zum Scheitern verurteilten politischen System der USA und begründet, weshalb Trump eine echte Bedrohung für die Welt und den Planeten im Allgemeinen darstellt.
C.J. Polychroniou (CP) für Truthout: Noam Chomsky, das Undenkbare ist geschehen: Entgegen sämtlicher Vorhersagen hat Donald Trump einen deutlichen Sieg über Hillary Clinton erzielt. Der Mann, den Michael Moore als „jämmerlichen, ignoranten, gefährlichen Teilzeitclown und Vollzeit-Soziopathen“ bezeichnete, wird der nächste Präsident der Vereinigten Staaten. Was führte in Ihren Augen dazu, dass die amerikanischen Wähler für den größten Überraschungserfolg in der Geschichte der US-Politik sorgten?
Noam Chomsky: Bevor wir uns dieser Frage zuwenden, ist es denke ich wichtig, eine Weile darüber nachzudenken, was genau am 8. November eigentlich passiert ist – ein Datum, das sich möglicherweise als eines der wichtigsten in der Geschichte der Menschheit erweisen könnte, je nachdem wie wir reagieren.
Das ist keine Übertreibung.
Die wichtigste Nachricht vom 8. November wurde kaum wahrgenommen, was an sich schon eine signifikante Tatsache ist.
Am 8. November stellte die Weltorganisation für Meteorologie (World Meteorological Organization, WMO) im Rahmen der internationalen Konferenz zum Klimawandel in Marokko (COP22) einen Bericht vor. Die Konferenz wurde einberufen, um das Pariser Abkommen COP21 weiterzuführen. Die WMO berichtete, dass die vergangenen fünf Jahre die heißesten seit Beginn der Aufzeichnungen waren. Sie berichtete von steigenden Meeresspiegeln, die aufgrund der unerwartet rasch dahin schmelzenden Polkappen, insbesondere der antarktischen Gletscher, nur zunehmen dürften. Das arktische Meereis lag über die vergangenen fünf Jahre 28 Prozent unter dem Durchschnitt der vorangegangenen 29 Jahre, was nicht nur zu einem Anstieg des Meeresspiegels führt, sondern auch den Kühleffekt reduziert, der von Polareis, das Sonnenstrahlen reflektiert, ausgeht. Dadurch werden die düsteren Folgen globaler Erwärmung beschleunigt. Neben anderen fatalen Berichten und Vorhersagen berichtete die WMO darüber hinaus, dass die Temperaturen der Obergrenze, die von COP21 festgelegt wurde, gefährlich nahekommen.
Am 8. November ereignete sich noch etwas anderes, das sich ebenfalls als historisch signifikant erweisen könnte, und zwar aus Gründen, die kaum wahrgenommen wurden. Am 8. November hielt das mächtigste Land der Weltgeschichte, welches der Zukunft seinen Stempel aufdrücken wird, Wahlen ab. Der Ausgang gab vollständige Kontrolle der Regierung – Exekutive, Kongress, Oberster Gerichtshof – in die Hände der Republikanischen Partei, welche sich zur gefährlichsten Organisation der Weltgeschichte entwickelt hat.
Abgesehen vom letzten Satz ist all dies unumstritten. Der letzte Satz mag absonderlich erscheinen, vielleicht sogar unerhört. Aber ist er das? Die Fakten suggerieren etwas anderes. Die Partei hat sich zum Ziel gesetzt, organisiertes menschliches Leben so schnell wie möglich zu zerstören. Es gibt keinen geschichtlichen Präzedenzfall für eine solche Haltung.
Ist dies eine Übertreibung? Bedenken Sie, was wir eben miterlebt haben.
Während der republikanischen Vorwahlen leugnete jeder Kandidat, dass das was passiert, tatsächlich passiert – mit Ausnahme der vernünftigen Gemäßigten wie Jeb Bush, der sagte, man könne sich nicht sicher sein. Ändern müsse man jedoch nichts, weil wir dank Fracking mehr natürliches Gas produzieren. Oder John Kasich, der zustimmte, dass globale Erwärmung stattfindet, aber hinzufügte, dass man weiterhin Kohle in Ohio verbrennen und sich nicht dafür entschuldigen werde.
Der Gewinnerkandidat und gewählte Präsident verlangt die rapide Ausweitung der Nutzung fossiler Brennstoffe, darunter Kohle, den Abbau von Regulierungen, die Weigerung, Entwicklungsländern zu helfen, die einen Schritt in Richtung nachhaltige Energie machen wollen, und rast generell so schnell wie möglich auf den Abgrund zu.
Trump hat bereits Schritte unternommen, um die Environmental Protection Agency (EPA) auseinanderzunehmen, indem er dem berüchtigten und überzeugten Klimawandel-Leugner Myron Ebell die Verantwortung für die EPA-Übergangsphase übertrug. Trumps Top-Berater in Sachen Energie, der Öl-Multi Harold Hamm, kündigte seine Erwartungen an, die vorhersehbar waren: Abbau von Regulierungen, Steuerschnitte für die Industrie (sowie die Reichen und den Konzernsektor allgemein), mehr Produktion fossiler Brennstoffe, die Aufhebung von Obamas vorübergehender Blockade der Dakota Access-Pipeline. Der Markt reagierte schnell. Aktien von Energiekonzernen erlebten einen Boom, darunter auch die des weltgrößten Kohleförderers Peabody Energy, der Insolvenz angemeldet hatte, aber nach Trumps Sieg einen 50-prozentigen Zuwachs registrierte.
Die Auswirkungen der republikanischen Leugnungs-Haltung waren bereits spürbar. Es gab Hoffnung, dass das Pariser COP21-Abkommen zu einem nachweisbaren Staatsvertrag führen würde. Doch sämtliche solcher Gedanken wurden fallen gelassen, weil der republikanische Kongress keine verbindlichen Verpflichtungen akzeptieren würde. Was also herauskam, war eine freiwillige und nachweislich schwächere Vereinbarung.
Die Auswirkungen der republikanischen Leugnungs-Haltung waren bereits spürbar. Es gab Hoffnung, dass das Pariser COP21-Abkommen zu einem nachweisbaren Staatsvertrag führen würde. Doch sämtliche solcher Gedanken wurden fallen gelassen, weil der republikanische Kongress keine verbindlichen Verpflichtungen akzeptieren würde. Was also herauskam, war eine freiwillige und nachweislich schwächere Vereinbarung.
Es fällt schwer, Worte zu finden, um die Tatsache zu beschreiben, dass sich Menschen mit der wichtigsten Frage ihrer Geschichte konfrontiert sehen – der Frage, ob organisiertes menschliches Leben auch nur annähernd in der uns bekannten Form überleben wird – nur, um als Antwort den Wettlauf ins Desaster noch zu beschleunigen.
Ähnliche Beobachtungen lassen sich anstellen, was die andere Kernfrage menschlichen Überlebens betrifft: die Bedrohung durch nukleare Zerstörung, die seit 70 Jahren über unseren Köpfen schwebt und nun zunimmt.
Es ist nicht weniger schwierig, die gänzlich frappierende Tatsache in Worte zu fassen, dass nichts davon in der massiven Berichterstattung zum Wahlzirkus auch nur im Vorübergehen erwähnt wird. Zumindest fehlen mir die passenden Worte.
Kommen wir schließlich zur eigentlichen Frage. Genau genommen scheint es so, als habe Clinton eine leichte Mehrheit der Stimmen erhalten. Der scheinbar deutliche Sieg hat mit kuriosen Merkmalen US-amerikanischer Politik zu tun: unter anderem mit dem Electoral College, einem Überbleibsel aus Zeiten, in denen Land als Zusammenschluss von Einzelstaaten gegründet wurde, dem Winner-take-all-System in jedem Staat, der Einteilung in Bundeswahlkreise (manchmal durch Wahlkreisschiebungen), um den ländlichen Stimmen mehr Gewicht zu verleihen (in vergangenen Wahlen, und wahrscheinlich auch in dieser, genossen die Demokraten einen komfortable Wahlsieg in der landesweiten Abstimmung, erhielten aber die Minderheit der Sitze), der enorm hohen Zahl an Enthaltungen (normalerweise knapp die Hälfte bei Präsidentschaftswahlen, diese eingeschlossen). Etwas signifikant für die Zukunft ist die Tatsache, dass Clinton im Altersspektrum 18 bis 25 Jahre locker gewann, Sanders genoss dort sogar noch mehr Zuspruch. Welche Rolle dies spielt, hängt davon ab, welcher Zukunft die Menschheit entgegensieht.
Laut aktuellen Informationen brach Trump sämtliche Rekorde in Sachen Unterstützung durch weiße Wähler, die Arbeiter- und untere Mittelschicht, vor allem in der Einkommensspanne zwischen 50,000 und 90,000 US-Dollar, [die Wähler vom Land und aus den Vororten], in erster Linie diejenigen ohne College-Bildung. Diese Gruppen teilen die Wut auf das gemäßigte Establishment, die den gesamten Westen durchzieht und auch in der unerwarteten Brexit-Abstimmung sowie dem Kollaps der gemäßigten Parteien in Kontinentaleuropa zum Ausdruck kam. Viele der Wütenden und Unzufriedenen sind Opfer der neoliberalen Politik vergangener Generationen, einer Politik, die vom US-Notenbankchef Alan Greenspan in einer Aussage vor dem Kongress beschrieben wurde – „St. Alan“, wie er von der Wirtschaft und anderen Bewunderern ehrerbietig genannt wurde, bevor die Wunderwirtschaft, die er überwachte, 2007/2008 zusammenbrach und drohte, die gesamte Weltwirtschaft mit sich zu reißen. Wie Greenspan während seiner Glanzzeit erklärte, beruhten seine Erfolge im Wirtschaftsmanagement erheblich auf der „wachsenden Unsicherheit der Arbeiter.“ Verunsicherte Arbeiter würden nicht nach höheren Löhnen, Zuschüssen und Absicherung fragen, sondern sich mit den stagnierenden Löhnen und niedrigeren Zuschüssen, die nach neoliberalen Standards eine gesunde Wirtschaft bedeuten, zufriedengeben.
Arbeiter, die Opfer dieser wirtschaftstheoretischen Experimente, sind nicht wirklich glücklich über den Ausgang. Sie sind beispielsweise wenig erfreut über die Tatsache, dass 2007, am Höhepunk des neoliberalen Wunders, Reallöhne für Arbeiter in Nicht-Aufsichtspositionen niedriger als in den Jahren zuvor waren, oder dass sich Reallöhne für männliche Arbeiter etwa auf dem Niveau der 1960er befinden, während spektakuläre Gewinne in die Taschen einiger weniger an der Spitze wanderten, die unverhältnismäßig einen Bruchteil von einem Prozent darstellen. Nicht als Resultat von Marktkräften, Leistung oder Verdienst, sondern von bestimmten politischen Entscheidungen, Angelegenheiten, die von Ökonom Dean Baker in einer kürzlich veröffentlichen Arbeit begutachtet wurden.
Das Schicksal des Mindestlohns verdeutlicht, was passiert ist. Während der Perioden hohen und egalitären Wachstums in den 50ern und 60ern, folgte der Mindestlohn – die Grundlage für andere Löhne – der Produktivität. Dies hörte mit dem Beginn der neoliberalen Doktrin auf. Seither stagniert der Mindestlohn (in realem Wert). Wäre es so gelaufen wie zuvor, läge er jetzt wahrscheinlich bei knapp 20 US-Dollar pro Stunde. Heute gilt es als politische Revolution, wenn er auf 15 Dollar erhöht wird.
Trotz all dem heutigen Gerede über die quasi-Vollbeschäftigung befindet sich die Erwerbsbeteiligung unter der früheren Norm. Für die Arbeiterschaft besteht ein großer Unterschied zwischen einem stabilen Job in der Fertigung mit Gewerkschaftslöhnen und Zuschüssen, so wie in früheren Jahren, und einem temporären Job mit wenig Sicherheit in irgendeinem Service-Beruf. Neben Löhnen, Zuschüssen und Sicherheit, gibt es einen Verlust von Würde, der Hoffnung in die Zukunft, des Gefühls, Teil dieser Welt zu sein und eine wertvolle Rolle zu spielen.
Der Einfluss wurde von Arlie Hochschild in einem einfühlsamen und aufschlussreichen Porträt einer Trump-Hochburg in Louisiana festgehalten. Sie lebte und arbeitete dort viele Jahre lang. Sie verwendet das Bild einer Reihe von Einwohnern, die damit rechnen, sich langsam vorwärts zu bewegen, während sie bemüht sind, sämtliche konventionellen Werte einzuhalten. Doch ihre Position in der Reihe kam zum Stillstand. Weiter vor sich sehen sie Leute, die einen Satz nach vorn machen, was für wenig Bestürzung sorgt, weil das die „American way“ ist: die Belohnung für (angeblichen) Verdienst. Was dagegen für Bestürzung sorgt ist das, was sich hinter ihnen abspielt. Sie glauben, dass „Leute, die es nicht verdient haben,“ die sich „nicht an die Regeln halten“, dank Regierungsprogrammen befördert werden. Programme, die sie irrtümlich als auf Afroamerikaner, Immigranten und andere, die sie in der Regel geringschätzen, zugeschnitten betrachten. All dies wird von Ronald Reagans rassistischen Hirngespinsten über „Welfare Queens“ (Wohlstands-Königinnen, stillschweigend Schwarze), die das hart verdiente Geld der weißen Menschen stehlen würden, und anderen Fantasien verstärkt.
Manchmal spielt das Versäumnis, zu erklären, was in sich selbst eine Form von Geringschätzung ist, eine Rolle bei der Förderung des Hasses auf Regierungen. Einst traf ich einen Maler in Boston, der sich verbittert gegen die „böse“ Regierung wendete, weil ein Bürokrat aus Washington, der nichts über Malerei wusste, ein Treffen von Malereiunternehmern organisiert hatte, in dem er sie darüber in Kenntnis setzte, dass sie nicht länger Bleifarbe verwenden durften – „die einzige, die etwas taugt,“ wie sie alle wussten. Lediglich der Schlipsträger verstand nicht. [Diese Entscheidung] zerstörte sein kleines Unternehmen und zwang ihn dazu, auf sich allein gestellt und mit dem minderwertigen Zeug, das ihm von Regierungseliten aufgezwungen wurde, Häuser anzustreichen.
Manchmal gibt es auch echte Gründe für diese Haltung gegenüber Regierungs-Bürokratie. Hochschild beschreibt einen Mann, dessen Familie und Freunde bitterlich unter den Folgen chemischer Verschmutzung leiden. Er verabscheut die Regierung und die „liberalen Eliten,“ weil EPA seiner Ansicht nach irgendeinen ignoranten Typen beschreibt, der ihm zwar verbietet zu fischen, aber nichts bezüglich der Chemiewerke unternimmt.
Dies sind nur Stichproben aus dem Leben von Trump-Unterstützern, denen vorgegaukelt wurde, dass Trump etwas unternehmen würde, um ihre Notlage zu beheben, obwohl der geringste Blick auf seine finanzwirtschaftlichen und anderen Vorschläge das Gegenteil demonstriert – was für Aktivisten, die hoffen, das Schlimmste abzuwenden und bitternötige Veränderung voranzutreiben, eine Herausforderung darstellt.
Nachwahlbefragungen machen offensichtlich, dass die leidenschaftliche Unterstützung für Trump primär von dem Glauben beeinflusst war, er repräsentiere Veränderung, während Clinton als die Kandidatin wahrgenommen wurde, die ihr Elend aufrechterhalten würde. Die „Veränderung“, die Trump wahrscheinlich bringt, wird schädlich oder noch schlimmer sein, aber es ist verständlich, dass die Konsequenzen isolierten Menschen in einer atomisierten Gesellschaft ohne Verbindungen (wie Gewerkschaften), die bilden und organisieren, nicht klar sind. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zwischen der heutigen Verzweiflung und der allgemein hoffnungsvollen Einstellung vieler Arbeiter, die während der großen Depression der 1930er unter viel größerem wirtschaftlichem Zwang standen.
Es gibt andere Faktoren bei Trumps Erfolg. Vergleichende Untersuchungen zeigen, dass die Doktrin der weißen Überlegenheit stärker von der Kultur in Amerika Besitz ergriffen hat als in Südafrika, und es ist kein Geheimnis, dass die weiße Bevölkerung dahinschwindet. Laut Hochrechnungen bilden Weiße in einem oder zwei Jahrzehnten die Minderheit der Arbeiterschaft, und nicht viel später die Minderheit der Bevölkerung. Es herrscht zudem die Ansicht, traditionelle konservative Kultur sei unter Beschuss durch die Identitätspolitik, die als Domäne von Eliten wahrgenommen wird, die wiederum nichts als Verachtung für „hart arbeitende, patriotische, die Kirche besuchende, [weiße] Amerikaner mit echten Familienwerten“ haben. Sie sehen, wie ihr vertrautes Land vor ihren Augen verschwindet.
Eine der Schwierigkeiten beim Erzeugen öffentlicher Aufmerksamkeit für die sehr ernsten Bedrohungen durch globale Erderwärmung ist die Tatsache, dass 40 Prozent der US-Bevölkerung kein Problem erkennt, da Christus in ein paar Jahrzehnten zurückkehren wird. Etwa derselbe Prozentsatz glaubt, dass die Welt vor ein paar tausend Jahren geschaffen wurde. Wenn Wissenschaft und Bibel sich widersprechen, umso schlimmer für die Wissenschaft. Es dürfte schwer sein, ein Gegenstück in anderen Gesellschaften zu finden.
Die Demokratische Partei hat mit den 1970ern jegliche echte Sorge für die Arbeiterschaft fallen gelassen, und wurde deshalb auf den Rang ihrer erbitterten Klassenfeinde degradiert, die wenigstens so tun, als sprächen sie ihre Sprache – Reagans volkstümliche Art, Witzchen zu reißen, während er Jelly Beans aß, George W. Bushs sorgsam kultiviertes Image des einfachen Manns, den man in einer Bar antreffen konnte, der es liebte, bei 38 Grad auf seiner Ranch Gestrüpp zu entfernen, samt vermutlich vorgetäuschten Aussprachefehlern (unwahrscheinlich, dass er in Yale so sprach), und nun Trump, der Menschen mit legitimen Beschwerden eine Stimme gibt – Menschen, die nicht nur ihre Jobs, sondern auch ihr Selbstwertgefühl verloren haben – und der gegen die Regierung wettert, von der sie (nicht grundlos) glauben, sie habe ihr Leben untergraben.
Eine der großen Errungenschaften dieses Lehrsystems ist die Umleitung der Wut auf den Konzernsektor in Richtung Regierung, welche die Programme, die der Konzernsektor entwirft, implementiert, etwa die höchst protektionistischen Konzern/Investor-Rechtsvereinbarungen, die in den Medien und Kommentaren durchweg falsch als „Freihandelsabkommen“ bezeichnet werden. Trotz all ihrer Fehler steht die Regierung zumindest ansatzweise unter öffentlichem Einfluss und Kontrolle, im Gegensatz zum Konzernsektor. Es ist für die Geschäftswelt von enormem Vorteil, den Hass auf eierköpfige Regierungsbürokraten zu schüren und den Menschen die umstürzlerische Idee auszutreiben, dass die Regierung möglicherweise ein Instrument des öffentlichen Willens werden könnte: eine Regierung von, durch und für Menschen.
CP: Repräsentiert Trump eine neue Bewegung in der amerikanischen Politik oder war das Ergebnis dieser Wahl vor allem eine Ablehnung Hillary Clintons von Wählern, die die Clintons hassen und die „übliche Politik“ satthaben?
Noam Chomsky: Sie ist keinesfalls neu. Beide politischen Parteien sind während der neoliberalen Periode nach rechts gerückt. Die Neuen Demokraten von heute sind so ziemlich das, was früher „moderate Republikaner“ genannt worden ist. Die „politische Revolution“, für die Bernie Sanders zurecht plädiert hat, hätte Dwight Eisenhower nicht besonders überrascht. Die Republikaner haben sich so sehr der Hingabe an die Wohlhabenden und den Unternehmenssektor verschrieben, dass sie nicht darauf hoffen können, aufgrund ihrer tatsächlichen Programme gewählt zu werden, und konzentrieren sich auf die Mobilisierung von Sektoren der Bevölkerung, die schon immer dagewesen sind, bisher jedoch noch nie als organisierte, vereinigte politische Kraft: Evangelikale, Nativisten, Rassisten und die Opfer der Arten von Globalisierung, die Arbeiter auf der ganzen Welt miteinander in Konkurrenz setzen, während sie die Privilegierten beschützen, und gesetzliche und andere Vorkehrungen aushöhlen, die der arbeitenden Bevölkerung Schutz und Einflussmöglichkeiten auf die Entscheidungsprozesse in den eng miteinander verknüpften privaten und öffentlichen Sektoren bieten, vor allem durch effektive Arbeitergewerkschaften.
Die Konsequenzen daraus sind in den vergangenen republikanischen Vorwahlen offensichtlich geworden. Alle Kandidaten, die aus der Basis hervorgegangen sind — wie etwa [Michele] Bachmann, [Herman] Cain oder [Rick] Santorum – waren so extrem, dass das republikanische Establishment seine umfassenden Ressourcen aufbringen musste, um sie zu schlagen. Der Unterschied im Jahr 2016 ist der, dass das Establishment sehr zu seinem Leidwesen versagt hat, wie wir gesehen haben.
Clinton repräsentierte die Strategien, die gefürchtet und gehasst waren – ob das gerechtfertigt ist, oder nicht – wohingegen Trump als Symbol der „Veränderung“ gesehen wurde – eine Veränderung, die einer genauen Betrachtung seiner tatsächlichen Vorschläge bedarf, was etwas ist, das die Öffentlichkeit kaum erreicht hat. Die Kampagne ist echten Fragen und Themen auf bemerkenswerte Weise ausgewichen, und die Medienberichterstattung hat sich im Allgemeinen einfach gefügt, treu dem Konzept, dass wahre „Objektivität“ bedeutet, akkurat darüber zu berichten, was sich innerhalb eines limitierten, gut abgesteckten Bereichs der Berichterstattung abspielt, jenen aber nicht zu verlassen.
CP: Nach dem Wahlausgang verkündete Trump, dass er “alle Amerikaner repräsentieren” wird. Wie wird er das anstellen, wenn die Nation so geteilt ist und er bereits einen tiefen Hass gegenüber vielen Gruppen in den Vereinigten Staaten zum Ausdruck gebracht hat, einschließlich Frauen und Minderheiten? Sehen Sie eine Ähnlichkeit zwischen Brexit Donald Trumps Sieg?
Noam Chomsky: Ähnlichkeiten zum Brexit bestehen definitiv, wie auch zum Aufstieg der ultranationalistischen, rechtsextremen Parteien in Europa – deren Anführer es gar nicht erwarten konnten, Trump zu seinem Sieg zu gratulieren, und ihn als einen der Ihren wahrnehmen: [Nigel] Farage, [Marine] Le Pen, [Viktor] Orban und andere wie sie. Und diese Entwicklungen sind ziemlich beängstigend. Ein Blick auf die Umfragen in Österreich und Deutschland – Österreich und Deutschland – weckt in all jenen, denen die 1930er ein Begriff sind, unumgänglich unliebsame Erinnerungen, vor allem für Menschen, die diese Zeit direkt miterlebt haben, wie ich als Kind. Ich kann mich noch immer daran erinnern, wie ich Hitlers Reden angehört habe, deren Worte ich nicht verstand, deren Klang und die Reaktionen des Publikums aber abschreckend genug waren. Mein erster Artikel, den ich mich erinnere, geschrieben zu haben, war im Februar 1939, nach dem Fall von Barcelona, und handelte von der unaufhaltsamen Ausbreitung der Pest des Faschismus. Und wie der Zufall es wollte, verfolgten meine Frau und ich die Ergebnisse der US-Präsidentschaftswahl 2016 aus Barcelona.
Zur Frage, wie Trump mit dem umgehen wird, was er ans Tageslicht gebracht – nicht erschaffen, sondern an die Oberfläche gebracht – hat, können wir wirklich noch nichts sagen. Seine vielleicht bemerkenswerteste Eigenschaft ist seine Unvorhersehbarkeit. Viel wird von den Reaktionen derer abhängen, die über sein Auftreten und die Vision, die er ausgelegt hat, empört sind.
CP: Trump hat keinerlei identifizierbare politische Ideologie, die seine Haltung gegenüber wirtschaftlichen, sozialen oder politischen Fragestellungen lenkt, dennoch finden sich klar autoritäre Züge in seinem Verhalten. Denken Sie demnach, dass an den Behauptungen etwas dran ist, dass Trump die Erscheinung eines „Faschismus mit einem freundlichen Gesicht“ in den Vereinigten Staaten repräsentieren könnte?
Noam Chomsky: Ich schreibe und rede schon lange über die Gefahr des Aufstiegs eines ehrlichen und charismatischen Ideologen in den Vereinigten Staaten. Jemand, der die Gefühle der Angst und Wut, die schon seit langer Zeit in großen Teilen der Gesellschaft brodeln, ausnutzen und sie von den eigentlich dafür Verantwortlichen wegbewegen und auf schutzbedürftige Zielscheiben richten könnte. Das könnte tatsächlich zu dem führen, was der Soziologe Bertram Gross in einer scharfsinnigen Studie vor 35 Jahren „freundlichen Faschismus“ genannt hat. Das setzt allerdings einen ehrlichen Ideologen voraus, einen Hitler-Typ, und nicht jemanden, dessen einzig erkennbare Ideologie sein Ego ist. Die Gefahren sind allerdings schon seit Jahren echt, und das vielleicht noch mehr angesichts der Kräfte, die Trump freigesetzt hat.
CP: Wie werden die Vereinigten Staaten, zumindest in den nächsten vier Jahren, aussehen, wenn die Republikaner im Weißen Haus sind, aber auch die Kontrolle über beide Kammern des Kongresses und die künftige Zusammensetzung des Obersten Gerichtshofs verfügen?
Noam Chomsky: Viel davon hängt von seinen Ernennungen und seinem Beraterkreis ab. Die ersten Anzeichen sind, gelinde gesagt, unschön.
Der Oberste Gerichtshof wird viele Jahre lang in den Händen von Reaktionären sein, mit berechenbaren Konsequenzen. Wenn Trump seine Fiskalprogramme im Paul Ryan-Stil beibehalten wird, wird es große Vorzüge für die sehr Reichen geben – dem Zentrum für Steuerpolitik zufolge eine Steuersenkung von mehr als 14% für die Top 0,1% und wesentliche Senkungen für die oberen Einkommensschichten, während andere so gut wie keine Steuererleichterungen, dafür aber neue Hürden zu erwarten haben. Martin Wolf, der anerkannte Wirtschaftskorrespondent der Financial Times, schreibt, dass „die Steuervorschläge die bereits reichen Amerikaner wie Mr. Trump mit Vergünstigungen überhäufen“ würden, während sie andere, unter anderem natürlich seine Wählerschaft, im Regen stehen lassen. Die unmittelbare Reaktion der Geschäftswelt zeigt, dass Big Pharma, Wall Street, die Militär- und Energieindustrien und andere wundervolle Institutionen wie sie eine rosige Zukunft erwartet.
Eine positive Entwicklung könnte das Programm zur Infrastruktur sein, das Trump versprochen hat, wobei er (mit Hilfe der Berichterstattung) verschwiegen hat, dass es sich dabei im Wesentlichen um das Konjunkturprogramm Obamas handelt, das der Wirtschaft und der Gesellschaft im Allgemeinten wirklich gut getan hätte, vom republikanischen Kongress aber unter dem Vorwand niedergeschlagen wurde, dass es das Defizit sprengen würde. Während dieser Vorwurf damals unberechtigt war, ist er bei Trumps Programm, das mit drastischen Steuersenkungen für die Reichen und den Unternehmenssektor sowie erhöhten Pentagon-Ausgaben einhergeht, absolut gerechtfertigt.
Es gibt jedoch einen Ausweg, der auf Dick Cheney zurückgeht, als er Bushs Finanzminister Paul O’Neill erklärte, dass „Reagan bewiesen hat, dass Defizite unwichtig sind“ – womit Defizite gemeint sind, die wir Republikaner erschaffen, um uns Unterstützung zu sichern, und es dabei anderen, vorzugsweise Demokraten, überlassen, den Scherbenhaufen irgendwie wieder aufzuräumen. Diese Methode wird vielleicht funktionieren, für eine Weile jedenfalls.
Es gibt außerdem so viele Fragen zu den Auswirkungen auf die Außenpolitik, die meisten davon sind unbeantwortet.
CP: Zwischen Trump und Putin existiert eine gegenseitige Bewunderung. Wie wahrscheinlich ist es, dass wir eine neue Ära bei den USA-Russland-Beziehungen sehen?
Noam Chomsky: Eine hoffnungsvolle Aussicht ist, dass es zu einer Reduktion der sehr gefährlichen und immer weiter ansteigenden Spannungen an der russischen Grenze kommen könnte: Die Rede ist von der russischen, nicht aber von der mexikanischen Grenze. Das ist aber ein Kapitel, das wir hier nicht aufschlagen sollten. Es ist auch möglich, dass Europa sich von Trumps Amerika distanzieren könnte, wie die [deutsche] Kanzlerin [Angela] Merkel und andere europäische Führungspersönlichkeiten bereits angedeutet haben – und nach Brexit auch von der britischen Stimme der Macht Amerikas. Das könnte möglicherweise dazu führen, dass die Europäer versuchen, die Spannungen zu entschärfen, und sich vielleicht sogar in Richtung von etwas wie Michail Gorbatschows Vision eines integrierten, eurasischen Sicherheitssystems ohne Militärbündnisse zu bewegen, die von den USA zugunsten einer NATO-Erweiterung abgelehnt worden ist. Diese Vision wurde vor einer Weile von Putin wiederbelebt – ob er es damit ernst gemeint hat, oder nicht, wissen wir nicht, weil seine Geste zurückgewiesen wurde.
CP: Wird die US-Außenpolitik unter Trump aller Wahrscheinlichkeit nach mehr oder weniger militaristisch, als wir es unter der Regierung Obamas, oder sogar der von George W. Bush gesehen haben?
Noam Chomsky: Ich denke nicht, dass man darauf eine zuversichtliche Antwort geben kann. Trump ist zu unberechenbar. Es gibt zu viele offene Fragen. Was wir sagen können ist, dass eine Mobilisierung des Volkes und gut organisierter und durchgeführter Aktivismus einen großen Unterschied machen können.
Und wir sollten im Gedächtnis behalten, dass viel auf dem Spiel steht.
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C.J. Polychroniou ist ein politischer Ökonom/Politikwissenschaftler, der an Universitäten und Forschungszentren in Europa und den Vereinigten Staaten gelehrt und gearbeitet hat. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Wirtschaftsintegration Europas, Globalisierung, die politische Ökonomie der Vereinigten Staaten und die Dekonstruktion des wirtschaftspolitischen Projekts des Neoliberalismus. Er schreibt regelmäßig für Truthout und ist ein Mitglied des Truthout Public Intellectual-Projekts. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht und seine Artikel sind in einer Vielzahl von Journalen, Magazinen, Zeitungen und Nachrichtenseiten erschienen. Viele seiner Veröffentlichungen wurden in mehrere Sprachen übersetzt, einschließlich kroatisch, französisch, griechisch, italienisch, portugiesisch, spanisch und türkisch.
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Description |
English: Noam Chomsky in 2015
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Date | |
Source | |
Author & Link | https://www.flickr.com/photos/culturaargentina |
Description |
English: Donald Trump at the New Hampshire Town Hall at Pinkerton Academy, August 19th, 2015
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Date | |
Source | |
Author | Michael Vadon |
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1 Antwort auf „Trump im Weißen Haus: ein Interview mit Noam Chomsky“
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